FAMA

die tageszeitung, 7.8.1999

Unter Geistern
Selbstreflexives Luftholen: Jörg Laues szenische Installation "Fama" im Tacheles

Vor der Premiere ist meistens Geheimnis. Was Regisseure, Bühnenbildner und Schauspieler in Proberäumen austüfteln, geht das Publikum nichts an. Jörg Laues Lose Combo braucht das Geheimnis nicht, weil es ohnehin an anderer Stelle ihre Inszenierungen kennzeichnet - jedenfalls aus der Perspektive des Theaterbesuchers, der Schauspiel erwartet, der vor Darbietungen zurückschreckt, die eine Bühne beanspruchen, obschon sie mehr bild- und klangkünstlerisch als im traditionellen Sinn theatral arbeiten. Im Tacheles zeigen Laue/Lose Combo derzeit eine "szenische Installation", deren künftige Verwertung in der Trilogie LAST bereits feststeht (Premiere des ersten Teils "falls" im September am Theater am Halleschen Ufer). Eine Werkschau vorab, die auch ohne den Gedanken "Aber da kommt noch was" funktioniert. Für "Fama" hat Laue im dunklen Theatersaal drei große, halb durchsichtige Projektionsflächen aus Glasvlies hintereinander gehängt. Das Filmmaterial - Aufnahmen einer Brandruine - wurde zuvor so oft kopiert, dass auf der vorderen Fläche nur quellende Farbflächen und Lichtfiguren vorüberzucken, einer dichten Rhythmik folgend, in der Kamerafahrten nur für Sekundenbruchteile zu erahnen sind. Durch die Vliesbahnen, gewoben aus hauchdünnen Fäden, die je nach Perspektive immer andere, knittrig papierne, spiralige, netzharte Strukturen zeigen, setzt die Abstraktion sich fort.
Als Resultat zahlloser Lichtstreuungen erscheinen auf der Rückseite der dritten Stofffläche neue, verräumlichte Bilder. Die Linse des Videobeamers wird zur Sonne, flackernd überzogen von blaugrünen Wolkenströmen. Eine sakrale Stimmung sorgt dafür, dass die Besucher sich andächtig flüsternd unterhalten - kaum unterscheidbar von den zischelnden Stimmen, die aus den Lautsprechern tönen, nur für kurze Zeit zurückgedrängt durch ein Viola-Solo (Bach und Kurtág) von Eva Oppl. Aber was wird da erzählt? Fama, die Dame vom Titel, wurde vom römischen Metamorphosen-Dichter Ovid erfunden - als personifizierte Verwandlerin der mythischen Stoffe, aus denen Geschichte(n) entsteht, als Chefköchin in der Gerüchteküche. Um Bezüge zwischen Fama, Videobeamer, Geräuschen und Glasvlies zu knüpfen, kann man die Interpretationsmaschine anwerfen und sich freuen, dass die ausgestellten technischen Prozesse den Vorgang der materiellen und virtuellen Stoffverwandlung auf mehreren Ebenen spiegeln. Und vom Künstler erfahren, dass ein Teil des verwandten Materials schon durch frühere Arbeiten geisterte und künftig weitergeistern wird: Fama als selbstreflexives Luftholen, die Metamorphose als Prinzip künstlerischer Produktion.
Man kann aber auch einfach dastehen und sich langsam selbst vergessend von Klängen, Farben und Licht überfluten lassen. Neugierig, in welch verwandten Formen man dem Projekt wiederbegegnen wird.

Eva Behrendt