LOSE COMBO's BLOOMSDAY

Süddeutsche Zeitung, 1.10.2004

Wiedergänger der Langsamkeit
Berlin: Lose Combo's Bloomsday lernt bei Morton Feldman

Als Fan der Teppichwebkunst wusste Morton Feldman (1926-1987) um Webstühle in Ost-Anatolien, die nicht zulassen, dass man sieht, was man webt - es entstehen unvorhersehbare Veschiebungen im Muster. Muster waren ein Prinzip des Komponisten Morton Feldman. Auch er wusste im Verlauf der Entstehung einer Komposition nicht, was vorher war, er blickte nicht zurück, er stellte zusammen, ohne zu wiederholen; seine Stücke sind "wie sich entwickelnde Dinge". Bei seinem "Clarinet and String Quartet" (1983) meint man sich immer wieder an eine bereits gehörte Struktur erinnern zu können, um sofort die Täuschung - Verschiebungen der Phasen, der Folge und Länge der Töne - wahrzunehmen und sich dabei im Vergehen von Zeit zu verlieren, die kaum erinnerbar ist. Der Klarinettist Ib Hausmann besorgte zusammen mit dem Pellegrini-Quartett 1994 die Weltersteinspielung. Jetzt gelang es Jörg Laues Lose Combo, das Pellegrini-Quartett und Ib Hausmann für eine der seltenen Aufführungen des Stückes zu gewinnen, im Rahmen der Performance "Lose Combo's Bloomsday".

In dem entkernten Raum der barocken Parochialkirche in Berlin schichtete Laue Steinwollmatten zu zwei Mauern / Projektionsflächen auf, der Boden dazwischen ebenfalls mit Steinwolle ausgelegt. Einer Mauer gegenüber die Musiker, vor dieser Mauer Techniker und Textperformer. Am 100. Bloomsday - Erinnerung an jenen Tag, an dem James Joyces "Ulysses" spielt, also am 16. Juni 2004 - sammelte die Lose Combo akustische und visuelle Widergänger, die 100 Tage später in Text, Videobild, Klang- und Lichtbewegung zusammen mit Feldmans Komposition Einzug in den Raum erhielten, um in Überschneidungen, Abfolgen und Loslösungen wie zufällig zusammenzutreffen und dabei an Bedeutung zu gewinnen. So meinte man zu Beginn des "Clarinet and String Quartet" durch die Bewegung, den Farbwechsel des Lichts, die Steinwollmauer sei aus dem Gemäuer der Parochialkirche gebrochen - die Materialien glichen sich an, ähnlich wie im Verlauf auch die Töne von Klarinette und Streichern zu verschmelzen schienen, ehe sie etwa durch ein melodisches Motiv der Klarinette wieder auseinander drifteten. Das Pellegrini-Quartett, bekannt dafür, auch offen für Projekte jenseits des Konzertbetriebs zu sein, vermittelte Hingabe an die Klänge, beinahe, als wäre es in den Klängen. Ib Hausmann spielte sich zwischen ihnen in die Stille hinein, aus der Stille wieder heraus, gemeinsam in einer Bewegung, die der Bewegung der Dauer eines Bloomsdays hätte entsprechen können.

In der Parochialkirche unterbot die Lose Combo die alltäglichen Standards von Geschwindigkeit und Information. Sie erzwang durch Verlangsamung Konzentration, schärfte vermeintlich das Wahrnehmungsvermögen, dessen man sich aber nicht mehr sicher sein durfte: Handelt es sich bei der Projektion um eine Fotografie, oder ist es ein abgefilmtes Foto, das sich durch die Projektion als Videofilm zu bewegen scheint, kommt Licht von draußen durch die Fenster, oder sind es Lampen im Raum, erhellt der sich, oder nicht, ist die Stimme live, oder auf der durchgängigen Tonspur? Man erlebte die vierundzwanzig Stunden eines Tages in 120 Minuten. Der Lose Combo gelang es, ihr gesammeltes Bloomsday-Material zugleich zu verdichten und zu dehnen, so dass die eigene Zeitwahrnehmung nicht mehr mit der in einem bekannten Draußen übereinstimmte.

Ein derartiges Zusammenkommen der Formen ist bemerkenswert. Durch die gegenseitige Einflussnahme von Textperformance, Konzert, Klang-, Video-, und Lichtinstallation, entgegen allesvereinnahmender Beschleunigung und allgegenwärtiger Informationsmüllhalden, erfindet Laues Lose Combo einen einzigartigen Ort. So ist man am Ende wieder bei Morton Feldman angelangt - für ihn war "große Kunst in der Geschichte immer reduktiv."

Tim Staffel